Der Vertrag von Versailles

vom 28. Juni 1919

Teil I - Völkerbundsakte

In der Erwägung, dass es zur Förderung der Zusammenarbeit der Nationen und zur Gewährleistung von Frieden und Sicherheit zwischen ihnen darauf ankommt,
gewisse Verpflichtungen einzugehen, nicht zum Kriege zu schreiten, in aller Öffentlichkeit auf Gerechtigkeit und Ehre beruhende Beziehungen zwischen den Völkern zu pflegen,
die von nun an als Regel für das tatsächliche Verhalten der Regierungen anerkannten Vorschriften des Völkerrechts genau zu beobachten,
die Gerechtigkeit herrschen zu lassen und alle vertragsmäßigen Verpflichtungen in den gegenseitigen Beziehungen der organisierten Völker gewissenhaft zu beobachten,
nehmen die hohen vertragschließenden Teile die folgende Akte an, die den Völkerbund stiftet.

Artikel 1.

Der Völkerbund umfaßt als ursprüngliche Mitglieder diejenigen unterzeichnenden Mächte, deren Namen in der Anlage der gegenwärtigen Akte aufgeführt sind, sowie diejenigen gleichfalls in der Anlage bezeichneten Staaten, die der gegenwärtigen Akte ohne jeden Vorbehalt durch eine im Sekretariat innerhalb zweier Monate nach Inkrafttreten der Akte niederzulegende Erklärung beitreten.Der Beitritt ist allen anderen Mitgliedern des Bundes mitzuteilen.

Alle sich selbst verwalteten Staaten, Dominions oder Kolonien, die nicht in der Anlage aufgeführt sind, können Mitglieder des Bundes werden, wenn ihre Zulassung durch Zweidrittel der Bundesversammlung zugestimmt wird, vorausgesetzt, dass sie tatsächliche Gewähr für ihre Absicht geben, ernsthaft ihre internationalen Verpflichtungen einzuhalten, und die Bundessatzung hinsichtlich ihrer Streitkräfte und ihrer Rüstung zu Lande, zur See und in der Luft annehmen.

Jedes Mitglied des Bundes kann mit einer zweijährigen Kündigungsfrist aus dem Bunde austreten, vorausgesetzt, sofern es im Augenblick des Rücktritts alle seine internationalen Verpflichtungen mit Einschluß derjenigen, die sich aus der gegenwärtigen Akte ergeben, erfüllt hat.

Artikel 2.

Die Tätigkeit des Bundes, wie sie in der gegenwärtigen Akte festgelegt ist, wird ausgeübt durch eine Bundesversammlung und durch einen Rat, denen ein ständiges Sekretariat zur Seite tritt.

Artikel 3.

Die Bundesversammlung setzt sich zusammen aus Vertretern der Bundesmitglieder.
Sie tagt in bestimmten Zeiträumen oder auch zu jedem anderen Zeitpunkt, wenn die Umstände es erfordern, am Sitz des Bundes oder an einem besonders zu bezeichnenden Ort.
Die Versammlung befaßt sich mit allen Angelegenheiten, die zur Zuständigkeit des Bundes gehören oder den Frieden der Welt berühren.
Jedes Mitglied des Bundes besitzt nur eine Stimme und darf auch nicht mehr als drei Vertreter in der Versammlung haben.

Artikel 4.

Der Rat setzt sich zusammen aus Vertretern der alliierten und assoziierten Hauptmächte und aus den Vertretern der anderen Mitgliedern des Bundes. Diese vier Mitglieder des Bundes werden von der Versammlung nach derem Ermessen und zu einer von ihr zu bestimmenden Zeit gewählt. Bis zu der ersten Wahl durch den Bund sind die Vertreter Belgiens, Brasiliens, Spaniens und Griechenlands Mitglieder des Rates.
Mit Zustimmung der Mehrheit der Versammlung kann der Rat Mitglieder des Bundes bezeichnen, denen eine dauernde Vertretung im Rate zukommt; mit gleicher Zustimmung kann der Rat die Zahl der Mitglieder des Bundes erhöhen, die von der Versammlung zur Vertretung im Rate zu wählen sind.
Der Rat versammelt sich, so oft die Umstände es erfordern, jedoch mindestens einmal im Jahre, am Sitze des Bundes oder an einem anderen dafür zu bezeichnenden Ort.
Der Rat befaßt sich mit allen Fragen, die zu der Zuständigkeit des Bundes gehören oder den Frieden der Welt berühren.
Jedes Mitglied des Bundes, das nicht im Rate vertreten ist, soll aufgefordert werden, einen Vertreter zu entsenden, wenn eine Frage auf der Tagesordnung des Rates steht, die seine Interessen besonders berührt.
Jedes im Rate vertretene Bundesmitglied hat nur eine Stimme und nur einen Vertreter.

Artikel 5.

Soweit nicht in der gegenwärtigen Akte oder in den Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrags etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist, werden die Entscheidungen der Bundesversammlung oder des Rates mit Einstimmigkeit der bei der Sitzung vetretenen Bundesmitglieder getroffen.
Alle Fragen des Verfahrens, die sich bei den Sitzungen der Bundesversammlung oder des Rates ergeben, mit Einschluss der Bezeichnung der für einzelne Punkte eingesetzten Untersuchungskommission, werden durch die Versammlung oder durch den Rat geregelt und durch Stimmenmehrheit der bei der Sitzung vertretenen Bundesmitglieder entschieden.
Die erste Sitzung der Versammlung und die erste Sitzung des Rates wird durch den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika berufen.

Artikel 6.

Das ständige Sekretariat wird am Sitz des Bundes errichtet. Es umfaßt einen Generalsekretär sowie die erforderlichen Sekretäre nebst Personal.
Der erste Generalsekretär wird in der Anlage benannt. Für die Folge wird der Generalsekretär von dem Rat mit Zustimmung der Mehrheit der Bundesversammlung ernannt.
Die Sekretäre und das Personal des Sekretariats werden von dem Generalsekretär mit Zustimmung des Rates ernannt.
Der Generalsekretär des Bundes nimmt als solcher an allen Sitzungen der Versammlung und des Rates teil.
Die Ausgaben des Sekretariats werden von den Mitgliedern des Bundes nach dem Verhältnis getragen, das für das Internationale Büro des Weltpostvereins besteht.

Artikel 7.

Der Sitz des Bundes ist Genf.
Der Rat kann jederzeit einen neuen anderweitigen Sitz bestimmen.
Alle Ämter des Bundes oder der damit zusammenhängenden Dienststellen mit Einschluss des Sekretariats sind in gleicher Weise Männern und Frauen zugänglich.
Die Vertreter der Bundesmitglieder und die Beamten des Bundes genießen, solange sie sich in Ausübung ihrer Bundesfunktionen befinden, die Vorrechte und die Immunität der Diplomaten.
Die von dem Bunde oder seinen Beamten oder bei seinen Sitzungen benutzten Gebäude und Grundstücke sind unverletzlich.

Artikel 8.

Die Mitglieder des Bundes erkennen an, dass die Aufrechterhaltung des Friedens es nötig macht, die nationalen Rüstungen auf das Mindestmaß herabzusetzen, das mit der nationalen Sicherheit und mit der Durchführung der durch ein gemeinsames Handeln auferlegten internationalen Verpflichtungen vereinbar ist.
Der Rat bereitet unter Berücksichtigung der geographischen Lage und der besonderren Umstände jedes Staates die Pläne für diese Abrüstung zum Zwecke einer Prüfung und Entscheidung durch die verschiedenen Regierungen vor.
Diese Pläne müssen von neuem geprüft und (soweit erforderlich) mindestens alle 10 Jahre revidiert werden.
Die derart festgesetzte Grenze für die Rüstungen darf nach ihrer Annahme durch die verschiedenen Regierungen nicht ohne Zustimmung des Rates überschritten werden.
Da nach Ansicht der Bundesmitglieder die Privatherstellung von Munition und Kriegsgerät schweren Bedenken unterliegt, beauftragen sie den Rat, Mittel ins Auge zu fassen, wodurch den Unzuträglichkeiten einer solchen Herstellung vorgebeugt werden kann; dabei ist den Bedürfnissen der Bundesmitglieder Rechnung zu tragen, die nicht selbst in der Lage sind, die für ihre Sicherheit erforderlichen Mengen an Munition und Kriegsgerät herzustellen.
Die Bundesmitglieder verpflichten sich zum offenen und vollständigen Austausch aller Nachrichten über den Stand ihrer Rüstungen, über ihre Heeres-, Flotten- und Luftflottenprogramme und über die Lage ihrer Kriegsindustrie.

Artikel 9.

Eine ständige Kommission wird eingerichtet, um dem Rat Gutachten über die Ausführung der Bestimmungen der Artikel 1 und 8 und überhaupt über Heeres-, Flotten- und Luftflottenfragen zu erstatten.

Artikel 10.

Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die territoriale Unversehrtheit und die gegenwärtige politische Unabhängigkeit aller Bundesmitglieder zu achten und gegen jeden Angriff von außen her zu wahren. Im Falle eines Angriffs, einer Bedrohung oder einer Angriffsgefahr trifft der Rat die zur Durchführung dieser Verpflichtung geeigneten Sicherheitsmaßnahmen.

Artikel 11.

Es wird hierdurch ausdrücklich erklärt, dass jeder Krieg oder jede Kriegsdrohung, möge dadurch eins der Bundesmitglieder unmittelbar bedroht werden oder nicht, den ganzen Bund angeht und dass dieser alle Maßregeln zur wirksamen Erhaltung des Völkerfriedens treffen muss. In diesem Fall hat der Generalsekretär unverzüglich auf Antrag eines jeden der Bundesmitglieder den Rat zu berufen.
Es wird ferner erklärt, dass jedes Bundesmitglied das Recht hat, in freundschaftlicher Weise die Aufmerksamkeit der Bundesversammlung oder des Rates auf jeden Umstand zu lenken, der die internationalen Beziehungen berührt und in der Folge den Frieden oder das gute Einvernehmen unter den Nationen, von denen der Frieden abhängt, bedrohen kann.

Artikel 12.

Alle Mitglieder kommen überein, alle etwa zwischen ihnen entstehenden Streitfälle, die zum Bruch führen könnten, dem Schiedsgerichtsverfahren oder einer Untersuchung durch den Rat zu unterbreiten. Sie vereinbaren ferner, in keinem Fall vor Ablauf einer Frist von 3 Monaten nach Fällung des Schiedsspruchs oder Erstattung des Berichts des Rates zum Kriege zu schreiten.
In allen in diesem Artikel vorgesehenen Fällen soll der Schiedsspruch in einem angemessenen Zeitraum ergehen und der Bericht des Rates innerhalb von 6 Monaten nach dem Tage erstattet werden, an dem er mit dem Streitfall befasst worden ist.

Artikel 13.

Die Bundesmitglieder kommen überein, wenn sich zwischen ihnen eine Streitfrage erhebt, die zwar nach ihrer Ansicht eine schiedsgerichtliche Lösung zulässt, sich aber nicht in befriedigender Weise auf diplomatischem Wege regeln lässt, die gesamte Frage dem Schiedsverfahren zu überweisen.
Zu denjenigen Streitpunkten, die sich im allgemeinen für ein Schiedsverfahren eignen, gehören Streitfragen, die sich auf die Auslegung eines Vertrags, auf alle Fragen des Völkerrechts, auf alle tatsächlichen Verhältnisse, deren Eintreten den Bruch einer internationalen Verpflichtung bilden würde, oder auf Umfang und Art der Wiedergutmachung für einen solchen Bruch beziehen.
Das Schiedsgerichtm, dem die Streitfrage unterbreitet wird, unterliegt der Wahl der Parteien oder der Festsetzung durch frühere Verträge.
Die Bundesmitglieder kommen überein, den erlassenen Schiedsspruch ehrlich und treu auszuführen und gegen kein Mitglied des Bundes, das sich nach ihm richtet, zum Kriege zu schreiten. Im Falle der Nichtausführung des Spruches schlägt der Rat die zur Sicherung seiner Durchführung geeigneten Maßnahmen vor.

Artikel 14.

Der Rat stellt einen Plan zur Errichtung eines ständigen internationalen Gerichtshofs auf und unterbreitet ihn den Bundesmitgliedern. Dieser Gerichtshof ist zuständig für alle Streitfälle internationalen Charakters, die ihm von den Parteien unterbreitet werden. Er gibt ferner Gutachten ab über jede Streitfrage oder jeden Punkt, mit dem der Rat oder die Bundesversammlung ihn befasst.

Artikel 15.

Wenn sich zwischen den Bundesmitglieder eine Streitfrage erhebt, die einen Bruch herbeiführen könnte, und die nach der Bestimmung des Artikel 13 nicht der Schiedsgerichtsbarkeit unterliegt, so kommen die Bundesmitglieder überein, die Frage vor den Rat zu bringen. Zu diesem Zwecke genügt es, wenn eine von den Parteien dem Generalsekretär von der Streitfrage Mitteilung macht. Dieser trifft alle Maßnahmen zu einer umfassenden Untersuchung und Prüfung.
Ohne den geringsten Verzug müssen ihm die Parteien die Darlegung ihres Streitfalls mit allen betimmten Tatsachen und Beweisstücken zustellen. Der Rat kann ihre sofortige Veröffentlichung anordnen.
Der Rat bemüht sich, die Streitfrage zu regeln. Gelingt dies, so veröffentlicht er, soweit er dies für nützlich hält, eine Darstellung des Tatbestandes, der entsprechenden Auslegungen und den Wortlaut des Ausgleichs. Kann die Streitfrage nicht ausgeglichen werden, so verfasst und veröffentlicht der Rat einen einstimmig oder mit Stimmenmehrheit zustande gekommenen Bericht, worin die Umstände der Streitfrage sowie die von ihm als gerecht und für den Ausgleich am zweckmäßigsten erachteten Lösungen darzulegen sind.
Jedes Bundesmitglied, das bei dem Rat vertreten ist, kann gleichfalls eine Darstellung des Tatbestands, der Streitfrage sowie seine eigenen Anträge veröffentlichen.
Wird der Bericht des Rates einstimmig angenommen, wobei die Stimmen der Vertreter der Parteien nicht angerechnet werden, so verpflichten sich die Bundesmitglieder, mit keiner Partei, die sich den Vorschlägen des Berichtes fügt, Krieg zu führen.
Wird der Bericht des Rates nicht von allen Mitgliedern angenommen, die nicht Partei sind, so behalten sich die Bundesmitglieder das Recht vor, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihnen für die Aufrechterhaltung von Recht und Gerechtigkeit erforderlich erscheinen.
Wenn eine der Parteien behauptet und der Rat anerkennt, dass der Streit sich auf eine Frage bezieht, die nach dem Völkerrecht ausschließlich dem eigenen Ermessen dieser Partei überlassen ist, so hat dies der Rat in einem Bericht festzustellen, jedoch keine Lösung vorzuschlagen.
Der Rat kann alle in diesem Artikel vorgesehenen Fälle vor die Versammlung bringen. Die Versammlung muss sich gleichfalls mit der Streitfrage auf den Antrag einer der Parteien befassen; der Antrag muss binnen 14 Tagen gestellt werden, nachdem die Streitfrage dem Rate unterbreitet worden ist.
In allen Fällen, die der Versammlung unterbreitet werden, finden die Bestimmungen dieses Artikels und des Artikels 12 über die Tätigkeit und die Machtbefugnis des Rates entsprechende Anwendung. Es besteht Einverständnis darüber, dass ein Bericht, der von der Versammlung mit Zustimmung der im Rate vertretenen Bundesmitglieder und der Mehrheit der anderen Bundesmitglieder mit Ausnahme der Vertreter der Parteien abgefasst worden ist, dieselbe Bedeutung haben soll wie ein Bericht des Rates, dem alle Mitglieder, mit Ausnahme der Vertreter der Parteien, zustimmen.

Artikel 16.

Wenn ein Bundesmitglied unter Verletzung der durch die Artikeln 12, 13 oder 15 übernommenen Verpflichtungen zum Kriege schreitet, so wird es ohne weiteres so angesehen, als hätte es eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder begangen. Diese verpflichten sich, unverzüglich mit ihm alle Handels- und finanziellen Beziehungen abzubrechen, ihren Staatsangehörigen jeden Verkehr mit den Staatsangehörigen des vertragsbrüchigen Staates zu verbieten und alle finanziellen, Handels- oder persönlichen Verbindungen zwischen den Angehörigen dieses Staates und denjenigen jedes anderen Staates abzubrechen, gleichviel ,ob er dem Bund angehört oder nicht.
In diesem Falle ist der Rat verpflichtet, den verschiedenen beteiligten Regierungen vorzuschlagen, mit welchen Land-, See- oder Luftstreitkräften die Mitglieder des Bundes für ihr Teil zu der bewaffneten Macht beizutragen haben, die zur Wahrung der Bundespflichten bestimmt ist.
Die Bundesmitglieder kommen ferner überein, sich bei der Ausführung der auf Grund dieses Artikels zu ergreifenden wirtschaftlichen und finanziellen Maßnahmen zu unterstützen, um die daraus etwa entstehenden Verluste und Unzuträglichkeiten auf das Mindestmaß zu beschränken. Sie unterstützen sich ferner gegenseitig, um den von dem vertragsbrüchigen Staat gegen einen von ihnen gerichteten besonderen Maßnahmen entgegenzutreten. Sie veranlassen das Erforderliche, um den Streitkräften jedes Bundesmitglieds, die zum Schutz der Bundespflichten zusammenwirken, den Durchzug durch ihr Gebiet zu erleichtern.
Jedes Bundesmitglied, das sich des Bruchs einer aus dieser Akte sich egebenden Verpflichtung schuldig macht, kann von dem Bunde ausgeschlossen werden. Der Ausschluss erfolgt duch Abstimmung aller anderen im Rate vertretenen Bundesmitglieder.

Artikel 17.

Bei Streitigkeiten zwischen einem Mitglied des Bundes und einem Nichtmitglied oder zwischen Staaten, von denen keiner Mitglied des Bundes ist, soll der Staat oder die Staaten, die dem Bunde nicht angehören, aufgefordert werden, zur Beilegung des Streitfalls sich den Verpflichtungen zu unterziehen, die den Bundesmitgliedern obliegen, und zwar unter Bedingungen, die der Rat für angemessen erachtet. Wird diese Aufforderung angenommen, so finden die Artikel 12 bis 16 mit den vom Rate für erforderlich erachteten Änderungen Anwendung.
Sofort nach der Absendung dieser Aufforderung tritt der Rat in die Prüfung der näheren Umstände des Streitfalls ein und macht die dafür am besten und wirksamst erscheinenden Vorschläg.
Lehnt der Staat, an den die Aufforderung gerichtet wird, es ab, zum Zwecke der Beilegung des Streitfalls sich den Verpflichtungen der Bundesmitglieder zu unterziehen, und schreitet er gegen ein Bundesmitglied zum Kirege, so finden die Bestimmungen des Artikels 16 auf ihn Anwendung.
Weigern sich beide Parteien, an die die Aufforderung gerichtet ist, sich den Verpflichtungen eines Bundesmitgliedes zum Zwecke der Beilegung des Streitfalles zu unterziehen, so kann der Rat alle Maßnahmen treffen und alle Vorschläge machen, die zur Verhütung von Feindseligkeiten und zur Beilegung des Streites geeignet sind.

Artikel 18.

Alle Verträge oder internationalen Vereinbarungen, die in Zukunft von einem Bundesmitglied geschlossen werden, sind unverzüglich von dem Sekretariat einzutragen und so bald als möglich zu veröffentlichen. Kein solcher Vertrag ist verbindlich, bevor die Eintragung erfolgt ist.

Artikel 19.

Die Versammlung kann von Zeit zu Zeit die Bundesmitglieder auffordern, Verträge, deren Anwendung nicht mehr in Frage kommt, sowie internationale Verhältnisse, deren Aufrechterhaltung den Weltfrieden gefährden könnte, einer Nachprüfung zu unterziehen.

Artikel 20.

Die Bundesmitglieder erkennen jeder für sein Teil an, dass die gegenwärtige Akte alle gegenseitigen Verpflichtungen oder Verständigungen aufhebt, die mit den in ihr enthaltenen Bestimmungen unvereinbar sind; sie verpflichten sich feierlich, in Zukunft keine solchen Vertträge mehr zu schließen.
Hat ein Mitglied vor seinem Eintritt in den Bund Verpflichtungen übernommen, die mit den Bestimmungen der Akte unvereinbar sind, so muss es sofort das Erforderliche veranlassen, um sich von diesen Verpflichtungen zu befreien.

Artikel 21.

Internationale Vereinbarungen, wie Schiedgerichtsverträge und Verständigungen über bestimmte Gebiete, wie die Monroe-Doktrin, die der Aufrechterhaltung des Friedens dienen, werden nicht als unvereinbar mit den Bestimmungen der gegenwärtigen Akte betrachtet.

Artikel 22.

Auf die Kolonien und Gebiete, die infolge des Krieges aufgehört haben, unter der Souveränität der Staaten zu stehen, die sie vorher beherrschten, und die von Völkern bewohnt sind, die noch nicht imstande sind, sich unter den besonders schwierigen Verhältnissen der modernen Welt selbst zu leiten, finden nachstehendene Grundsätze Anwendung. Das Wohlergehen und die Entwicklung dieser Völker bilden eine heilige Aufgabe der Zivilisation, und es erscheint zweckmäßig, in diese Akte Sicherheiten für die Erfüllung dieser Aufgabe aufzunehmen.
Der beste Weg, diesen Grundsatz praktisch zu verwirklichen, ist die Übertragung der Vormundschaft über diese Völker an die fortgeschrittenen Nationen, die auf Grund ihrer Hilfsmittel, ihrer Erfahrungen oder ihrer geographischen Lage am besten imstande und bereits sind, eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen: Diese Vormundschaft hätten sie als Beauftragte des Bundes und in dessen Namen zu führen.
Die Art des Auftrags muss sich nach dem Maße derr Entwicklung des Volkes, der geographischen Lage seines Gebiets, seinen wirtschaftlichen Bedingungen und nach allen sonstigen entsprechenden Umständen richten.
Gewisse Gemeinwesen, die ehemals zum Türkischen Reiche gehörten, haben einen solchen Grad der Entwicklung erreicht, dass ihr Dasein als unabhängige Nationen vorläufig anerkannt werden kann, unter der Bedingung, dass die Ratschläge und die Unterstützung einer beauftragten Macht ihrer Verwaltung bis zu dem Zeitpunkt zur Seite steht, wo sie imstande sind, sich selbst zu leiten. Bei der Wahl der beauftragten Macht sind die Wünsche dieser Gemeinwesen in erster Linie zu berücksichtigen.
Der Grad der Entwicklung, in dem sich andere Völker, insbesondere diejenigen Mittelafrikas, befinden, erfordert, dass der Beauftragte dort die Verwaltung des Gebiets unter Bedingungen übernimmt, die das Aufhören von Mißbräuchen, wie Sklaven-, Waffen- und Alkoholhandel gewährleisen und zugleich die Freiheit des Gewissens und der Religion verbürgen, ohneandere als die durch die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sittlichkeit gebotenen Einschränkungen. Dabei ist die Errichtung von Festungen oder von Heeres- oder Flottenstützpunkten, sowie die militärische Ausbildung der Eingeborenen, soweit sie nicht für Polizeidienste oder für die Verteidigung des Gebiets erforderlich ist, zu verbieten. Auch sine den anderen Mitgliedern des Bundes gleiche Möglichkeiten für Handel und Gewerbe zu gewährleisen.
Endlich gibt es Gebiete, wie das südwestliche Afrika und gewisse Inseln im australischen Stillen Ozeans, die infolge der geringen Bevölkerungsdichte, ihrer beschränkten Ausdehnung, ihrer Entfernung von den Mittelpunkten der Zivilisation und ihres geographischen Zusammenhangs mit den beauftragten Staaten oder infolge andere Umstände am besten nach den Gesetzen des beauftragten Staates und als integrierender Bestandteil dieses Staates, vorbehaltlich der vorstehend im Interesse der eingeborenen Bevölkerung vorgesehenen Schutzmaßnahmen, verwaltet werden.
In allen Fällen hat der beauftragte Staat dem Rat einen jährlichen Bericht über die seiner Fürsorge anvertrauten Gebiete vorzulegen.
Wenn der Umfang an Machtbefugnis, Aufsicht oder Verwaltung, der dem beauftragten Staat zusteht, nicht Gegenstand eines früheren Übereinkommens zwischen den Bundesmitgliedern bildet, wird darüber von dem Rat besondere Bestimmung getroffen.
Eine ständige Kommission erhält die Aufgabe, die Jahresberichte der beauftragten Mächte entgegenzunehmen und zu prüfen, sowie dem Rate in allen bei der Ausführung seines Auftrags auftauchenden Fragen mit Gutachten zur Seite zu stehen.

Artikel 23.

Unter Vorbehalt und in Gemäßheit der Bestimmungen der gegenwärtig bestehenden oder in Zukunft zu schließenden internationalen Vereinbarungen werden die Bundesmitglieder
a) sich bemühen, für Männer, Frauen und Kinder in ihren eigenen Gebieten sowie in allen Ländern, auf die sich ihre Handels- und Gewerbebeziehungen erstrecken, angemessene und menschliche Arbeitsbedingungen zu schaffen und aufrechtzuerhalten, auch zu diesem Zweck die erforderlichen internationalen Organisationen einzurichten und zu unterhalten;
b) der eingeborenen Bevölkerung der ihrer Verwaltung anvertrauten Gebiete eine angemessene Behandlung gewährleisten;
c) dem Bunde die allgemeine Überwachung der Verträge über den Frauen- und Kinderhandel sowie über den Verkehr mit Opium und anderen schädlichen Waren übertragen;
d) dem Bunde die allgemeine Überwachung des Waffen- und Munitionshandels mit denjenigen Ländern übertragen, wo die Überwachung dieses Handels im allgemeinen Interesse erforderlich ist;
e) die notwendigen Bestimmungen treffen, um die Freiheit des Verkehrs und der Durchfuhr sowie eine angemessene Behandlung des Handels aller Bundesmitglieder zu sichern und aufrecht zu erhalten, und zwar unter Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse der im Kriege 1914 bis 1918 verwüsteten Gegenden;
f) internationale Maßnahmen zur Verhütung und Bekämpfung von Krankheiten treffen.

Artikel 24.

Alle bereits früher durch Kollektivverträge errichteten internationalen Büros treten, vorbehaltlich der Zustimmung der Vertragsparteien, unter die Leitung des Bundes. Alle sonstigen internationalen Büros und alle Kommissionen zur Regelung von Angelegenheiten internationalen Interesses, die künftig geschaffen werden, werden der Autorität des Bundes unterstellt sein.
Für alle Fragen von internationalem Interesse, die durch allgemeine Verträge geregelt, aber nicht der Überwachung durch internationale Kommissionen oder Büros unterworfen sind, hat das Bundessekretariat auf Verlangen der Vertragsparteien und mit Zustimmung des Rates alle geeigneten Nachrichten zu sammeln und zu verteilen, sowie dabei jede erforderliche oder erwünschte Unterstützung zu gewähren.
Der Rat kann entscheiden, dass die Ausgaben der Bureaus oder Kommissionen, die unter die Leitung des Bundes treten, in die Ausgaben des Sekretariats einbezogen werden.

Artikel 25.

Die Bundesmitglieder verpflichten sich, die Einrichtung und das Zusammenarbeiten gebührend autorisierter freiwilliger nationaler Rote-Kreuz-Organisationen, welche die Verbesserung der Gesundheit, die Vorbeugung von Krankheiten und die Linderung der Leiden der Welt zur Aufgabe haben, anzuregen und zu fördern.

Artikel 26.

Abänderungen der vorliegenden Akte treten in Kraft, nachdem sie von den Bundesmitgliedern, aus deren Vertretern der Rat besteht, und der Mehrheit derjenigen Mitglieder, deren Vertreter die Versammlung bilden, genehmigt worden sind.
Jedem Bundesmitglied steht es frei, Abänderungen der Akte abzulehnen; in diesem Falle hört seine Zugehörigkeit zum Bunde auf.

Anlage.

I. Ursprüngliche Mitglieder des Völkerbunds, die den Friedensvertrag unterzeichnet haben:
Vereinigte Staaten von Amerika
Belgien
Bolivien
Brasilien
Britisches Reich
Canada
Australien
Südafrika
Neuseeland
Indien
China
Cuba
Ecuador
Frankreich
Griechenland
Guatemala
Haiti
Hedjas
Honduras
Italien
Japan
Liberia
Nicaragua
Panama
Peru
Polen
Portugal
Rumänien
Serbien
Siam
Tschecho-Slowakei
Uruguay.

Staaten, die zum Beitritt eingeladen sind:
Argentinien
Chile
Columbien
Dänemark
Spanien
Norwegen
Paraguay
Niederlande
Persien
Salvador
Schweden
Schweiz
Venezuela

II. Erster Generalsekretär des Völkerbundes: der Ehrenwerte Sir James Eric Drummond, K. C. M. G., C. B.

Quellen und weiterführende Hinweise
  • Der Vertrag von Versailles. Mit Beiträgen von Sebastian Haffner u.a.m., Matthes&Seitz Verlag, München, 1978, S. 122-133.