Der Briefwechsel katholischer Bischöfe 1965
Nach Abschluß des II. Vatikanischen Konzils (11. Oktober 1962 - 8. Dezember 1965) wird ein Brief der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Kollegen veröffentlicht. Der darin enthaltene zentrale Satz "Wir vergeben und bitten um Vergebung" wurde zu einem wichtigen Leitmotiv der christlichen Versöhnung zwischen Polen und Deutschen.
1. Reaktionen auf den Briefwechsel
Der polnische Literaturhistoriker und PEN-Mitglied, Jan Józef Lipski, der auch Mitgründer des polnischen Komitees zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) ist, schrieb 1981 (Kultura, Paris, Nr. 10):
"Der Appell des polnischen Episkopats an den deutschen stellt vor allem ein Problem dar, das sich nicht umgehen lässt, wenn man dem Christentum treu bleiben will: das Problem auch unserer Schuld gegenüber den Deutschen. [...]
Wir haben uns daran beteiligt, Millionen Menschen ihrer Heimat zu berauben, von denen die einen sicherlich sich schuldig gemacht haben... Das uns angetane Böse, auch das größte, ist aber keine Berechtigung und darf auch keine sein für das Böse, das wir selbst zugefügt haben...
[...]
Im polnischen Bewusstsein unserer geschichtlichen Beziehungen zu den Deutschen ist eine Masse Mythen und falscher Bilder entstanden, die im Namen der Wahrheit und zum Zwecke einer Gesundung einmal von Lügen gereinigt werden müssen: Die falschen Vorstellungen der eigenen Geschichte sind eine Krankheit der Seele der Nation, sie dienen hauptsächlich der Fremdenfeindlichkeit und dem nationalen Größenwahn.
Fast jeder Pole glaubt heute, dass wir nach dem Zweiten Weltkrieg in einem Raum zurückgekehrt seien, der uns von den Deutschen geraubt worden sei... Dagegen wollen wir heute in der Regel nicht daran denken, dass dies Gebiete sind, in denen einige hundert Jahre deutscher Kultur geblüht hat. Wir lesen rührende Feuilletons über die Schlesischen Piasten, ihre Schlösser und Herrensitze, aber niemand sagt uns, dass schon Heinrich IV., gestorben 1290, in deutschen Büchern über Literatur als Minnesänger bekannt ist, als deutschsprachiger Troubadour, der seine Lieder in derselben Sprache vortrug, wie Walther von der Vogelweide, wie Hartmann von Aue, während polnische Liebeslyrik erst nach zwei Jahrhunderten entstehen und blühen sollte. Dies ist eine symbolische Gestalt in der Geschichte Schlesiens...
Es ist bekannt, dass die Westgrenze der Ersten Republik Jahrhunderte hindurch eine der friedlichsten und dauerhaftesten in Europa gewesen ist. Die Eroberungen des Kreuzritterstaates haben kaum einen Bruchteil der mittelalterlichen deutschen Geschichte ausgemacht. Dagegen schreibt man bei uns nicht gern davon und erinnert nicht gern daran, was wir zivilisatorisch und kulturell den Deutschen verdanken. Dass Dach und Ziegel, dass Maurer, Drucker, Maler, Schnitzer, dass Hunderte polnischer Wörter beweisen, was wir unseren Nachbarn von jenseits der westlichen Grenze verdanken. Der schöne Erwerb an Architektur und Bildhauerei, Malerei und anderen Werken der Kunst und des Handwerks in Krakau und vielen anderen Städten und Städtchen Polens, nicht nur im Mittelalter, sondern zum Teil auch später bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, sie sind zum großen Teil Werke von Deutschen, die sich hier niederließen und unsere Kultur bereicherten. Fast jeder Pole weiß von Veit Stoß - nicht jeder weiß, dass er ethnisch Deutscher war... viele bilden sich ein, er sei Pole gewesen, und sind bereit, jeden zu ohrfeigen, der dem widerspricht - niemand aber, außer Spezialisten, kennt die Hunderte, ja Tausende Vor- und Familiennamen schöpferischer Deutscher, die unverwischte Spuren in unserer Kultur hinterlassen haben."
Zitiert nach Scholz, Görlitzer Tagebuch, S. 116ff.
Quellen und weiterführende Hinweise
- Scholz, Franz: Görlitzer Tagebuch, Chronik einer Vertreibung 1945/1946, Reihe: Bibliothek der Zeitgeschichte, Ullstein-Verlag, Berlin 1990.