Deutsche und polnische 'Pioniere'

  1. Deutsch-Polnische "Nullphase" 1945-1956
  2. Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen
  3. Die "Znak" - Bewegung
  4. Quellen

1. Deutsch-Polnische "Nullphase" 1945-1956

Der ehemalige polnische Außenminister Wladyslaw Bartoszewski betont, dass lediglich die deutschen Heimatvertrieben in den Jahren 1945 - 1956 Anteil an den Entwicklungen in Polen genommen haben. Ansonsten bezeichnet er diesen Zeitraum als "Nullphase in den deutsch-polnischen Beziehungen". (Vgl. Bartoszewski, Aussöhnung, 17)
Nach 1945 habe es in Polen keine Medien gegeben, die positiv über Deutschland berichteten. Selbst die "Pax"-Gruppe ("Bewegung sozial-fortschrittlicher Katholiken"), die Katholizismus und Marxismus verbinden wollten, sei äußerst deutschfeindlich gewesen.
Das waren die Früchte des Rufes nach Rache und Vergeltung, die nahezu in der ganzen polnischen Untergrundspresse während des 2. Weltkrieges gefordert und geschürt wurden. (Vgl. Bartoszewski, Aussöhnung, 31)

Ich denke, im Allgemeinen wurden die Begriffe 'Rache' oder 'Vergeltung' abgelehnt. Aber wir waren damals noch nicht bereit, zwischen den Nationalsozialisten und dem deutschen Volk einen Unterschied zu machen. Für die polnische Bevölkerung waren alle Deutsche schuldig.Bartoszewski, Aussöhnung, 21

Zu einem der wichtigsten Katalysatoren für eine Öffnung gegenüber Deutschland wurde später dann aber das Krakauer "Allgemeine Wochenblatt" ("Tygodnik Powszechny"). Diese Zeitschrift wurde von dem deutschen und dem polnischen Außenminister 1998 mit dem "Deutsch-Polnischen Preis" ausgezeichnet. (Vgl. Bartoszewski, Aussöhnung, 30)

2. Die Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Gewählte Vertreter der deutschen Heimatvertriebenen haben bereits am 5. August 1950 in Stuttgart-Bad Cannstadt feierlich proklamiert, dass sie beabsichtigen, die Spirale von Gewalt und Gegengewalt zu durchbrechen.

1. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung. Dieser Entschluss ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Damit haben die deutschen Heimatvertriebenen in kürzester Zeit nach oftmals äußerst grausamen Erlebnissen der Vertreibung, die vor allem Alte, Frauen und Kinder betraf, die Weichen für Friede und Versöhnung gestellt. Kein deutscher Heimatvertriebener hat sich bisher aus Rache oder Verzweiflung über den Verlust der seit Jahrhunderten angestammten Heimat z. B. als "Selbstmordattentäter" in die Luft gesprengt und unschuldige Opfer mit in den Tod gerissen. Im Gegenteil:

2. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Auch dies kann man als Teil des deutschen "Nachkriegswunder" sehen, an dem die deutschen Heimatvertriebenen ohnehin in großem Maße beteiligt waren, wie allgemein anerkannt ist.

3. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.Charta der deutschen Heimatvertriebenen

Stalin hatte sich gründlich verkalkuliert. Er (und andere) wollte das Nachkriegs-Deutschland in ein Chaos stürzen. Zwischen Deutschland und Polen wollte er "ewige Feindschaft" stiften. Beides ist ihm nicht gelungen. Zahlreiche Versöhnungsbemühungen, die hier dokumentiert werden, mögen dies belegen.

3. Die "Znak" - Bewegung

Zu ersten Veränderungen im Blick auf Deutschland kam es in Polen erst nach 1956 - also kurze Zeit nach dem Tod Stalins. Die katholische, oppositionelle Monatszeitschrift "Znak" ("Das Zeichen") tat sich dabei besonders hervor. Diese Zeitschrift wurde in Krakau herausgegeben und gab der "Znak"-Bewegung/-Gruppe ihren Namen.
Im Zentrum dieser konservativen Bewegung standen die Politiker Stanislaw Stomma (1908-2005) und Tadeusz Mazowiecki (der spätere Ministerpräsident der ersten nicht kommunistischen polnischen Regierung nach dem Wahlsieg der "Solidarnosc" im Juni 1989).
Der Znak-Bewegung angegliedert waren z. B. der "Klub der katholischen Intelligenz" (KIK) oder auch Zeitungen wie "Tygodnik Powszechny" oder das Monatsblatt "Wiez" ("Das Band"). Maßgebliche Persönlichkeiten letzter Zeitung waren Tadeusz Mazowiecki (1927-2013), Wojciech Wieczorek (1928-2012) und Andrzej Friszke (*1956).

Die Leser von 'Tygodnik', 'Znak' und 'Wiez' waren junge Studenten und Berufstätige und bildeten einen beträchtlichen Kreis. Damals war die Geburtenziffer in Polen sehr hoch. Fast eine halbe Million Menschen wurden jährlich erwachsen, und die Gesellschaft verjüngte sich sehr schnell.Bartoszewski, Aussöhnung, 45

Einen Dämpfer erhielt die liberale Bewegung Polens von 1956 bis 1958, nachdem in Moskau Nikita Chruschtschow an die Macht kam und in Polen der Kommunist Wladyslaw Gomulka (1905-1982) eine härte Gangart einlegte. Am 23. Oktober 1956 kam es in Ungarn infolge schwerer Spannungen zu einem Aufstand, der aber niedergeschlagen wurde. Ähnliches für Polen zu verhindern - nachdem es auch in Posen zu Arbeiterrevolten gekommen war - setzte sich Gomulka als oberstes Ziel.

1958 kam es dann zu ersten Gesprächen zwischen "Znak" und verschiedenen Deutschen in Deutschland. Professor Stanislaw Stomma sprach u. a. mit dem deutschen Außenminister Heinrich von Brentano (1904-1964), aber auch mit Herbert Czaja (1914-1996) und Herbert Hupka (1915-2006), die beide führende Stellungen innerhalb der "Landsmannschaften" der deutschen Heimatvertriebenen innehatten.

Im Jahre 1958 erfuhren wir über interne Kanäle des 'Tygodnik', dass Stomma in Deutschland Gespräche führte, Leute befragte, trotzdem aber nicht viele Partner fand. Damals gab es noch keinen richtigen Dialog zwischen Polen und Deutschen. Ich würde es mehr als einen Austausch von Ansichten und Vorstellungen bezeichnen.Bartoszewski, Aussöhnung, 51

Quellen und weiterführende Hinweise