Vertreibung der Deutschen
Als der Zweite Weltkrieg im Frühjahr 1945 sich seinem Ende zuneigte und die Deutsche Wehrmacht schließlich am 8. Mai 1945 kapitulierte, war der Krieg für die deutsche Zivilbevölkerung in Osteuropa, Südosteuropa und in Ostdeutschland noch lange Zeit nicht zuende.
An den Deutschen in Ostdeutschland begingen sowjetische Soldaten und polnische Miliz, an den Sudetendeutschen tschechische Nationalgardisten Verbrechen der schrecklichsten Art.Georg Friebe
In unzähligen Internierungslagern mussten nun unschuldige Deutsche (hauptsächlich Alte, Frauen und Kinder) als "Besiegte" bitter büßen - oftmals aus Rache für das Leid, das von Nazideutschland ausgegangen war. Tausende von Deutschen erlitten die schlimmsten Quälereien. (Z.B. in Lamsdorf/Oberschlesien starben 6.048 von ca. 8.000 Insassen.)
Stalin erhielt von Churchill und Roosevelt die Zustimmung zu einer "Kriegsentschädigung in Form von Arbeitskräften", die als Zwangsarbeiter in die Sowjetunion (Sibirien etc.) verschleppt wurden.
Allgemein wird heute eine Zahl von über 16,5 Millionen Deutscher für die Vertreibungs- und Deportationsgebiete in Ostdeutschland, Ost- und Südosteuropa angenommen, wovon auf das Reichsgebiet von 1937 9,29 Mio., auf Danzig, Memel, Sudetenland und die anderen Regionen rund 7,25 Mio. entfallen.Nawratil, Vertreibungsverbrechen, 71. Vgl. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden, 1958.
In dieser Zahl sind noch gar nicht die deportierten Russlanddeutschen enthalten, ebensowenig "Zugezogene" aus anderen Teilen Deutschlands (Luftkriegsevakuierte, in der Wirtschaft und Verwaltung Tätige etc.)
Die Sowjetregierung begann bereits im Februar 1945 die deutschen Ostgebiete (Oder-Neiße-Gebiete) an die provisorische, polnische Regierung zu übergeben. Unmittelbar wurde mit der Errichtung von Woiwodschaften begonnen. Polnische Behörden und Milizen wurden eingesetzt.
Am 30. April 1945 annektierte Polen die Freie Stadt Danzig. Alle Deutschen wurden per Dekret enteignet.
Auf der Potsdamer Konferenz gelang es Stalin die Westalliierten "über den Tisch zu ziehen". Sie akzeptierten die von ihm geschaffenen, vollendeten Tatsachen, wobei sie noch durchsetzten, dass eine endgültige Grenzfestlegung zwischen Deutschland und Polen erst auf einer Friedenskonferenz stattfinden sollte. Die Vertreibung der Deutschen aus den Oder-Neiße-Gebieten verhinderten die West-Alliierten nicht.
Während des Zweiten Weltkrieges war die Sowjetunion ein wichtiger Verbündeter für die Westmächte geworden - auch im Hinblick auf eine zukünftige Niederwerfung Japans. Besonders die USA ließen Russland großzügige militärische und materielle Hilfe zukommen. Außerdem waren sie zu politischen Zugeständnissen bereit - z. B. in der Anerkennung der russischen Annexion der baltischen Staaten und Ostpolens. Diese alliierte Anerkennung der "Curzon-Linie" als polnische Ostgrenze bedeutete für Polen eine "Revision des Friedens von Riga (1921)". Das wollte Polen so nicht akzeptieren.
In seiner Gewissensnot erklärte sich Churchill auf der Konferenz von Teheran (1943) grundsätzlich mit einer "Kompensation für Polen" (Westverschiebung Polens) einverstanden.
Um den Polen diesen Kuhhandel mit Stalin schmackhaft zu machen, wurde die "Aussiedlung" der Deutschen aus den betreffenden Gebieten in Erwägung gezogen.
Das Konstrukt zur Rechtfertigung dieser völkerrechtlich mehr als fragwürdigen Zusagen, baute auf den Nationalstaatsgedanken ("homogene Nation") auf. Dabei wurde nun plötzlich der (Umsiedlungs-) Vertrag von Lausanne von 1923 zum "Präzedenzfall" erklärt. Diese Begründung erweist sich aber als völlig anachronistisch! Die deutschen Ostgebiete waren bereits nach großen Abtrennungen von Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg weitestgehend "homogen". Dazu war der Vertrag von Lausanne, aufgrund dessen ½ Mio. Türken gegen etwa doppelt so viele Griechen "ausgetauscht" wurden, selbst völkerrechtlich sehr problematisch.
Nicht der Vertrag von Lausanne wurde zum Vorbild für die (einseitige) Vertreibung der Deutschen, sondern am ehesten noch die "Völkerverschickungen" Stalins in der Sowjetunion und Hitlers Deportation der Juden. Ca. 1,9 Mio. deutsche Frauen wurden schätzungsweise während Flucht, Vertreibung, Deportation und Besatzung vergewaltigt.
In Osteuropa werden jetzt von unseren Verbündeten Massendeportationen in einem unerhörten Ausmaß durchgeführt, und man hat offensichtlich die Absicht, viele Millionen Deutsche auszulöschen, nicht durch Gas, sondern dadurch, dass man ihnen ihr Zuhause und ihre Nahrung nimmt und sie einem langen schmerzhaften Hungertod ausliefert.Bertrand Russel, in der "Times" vom 19.10.1945. Zitiert nach de Zayas, Anmerkungen, 148f.
Der britisch-jüdische Sozialist, Verleger und Autor, Victor Gollancz (vor dem Krieg veröffentlichte er Bücher gegen Hitler) schrieb 1946 in seinem Buch "Our Threatened Values":
Die Deutschen wurden vertrieben, aber nicht einfach mit einem Mangel an übertriebener Rücksichtnahme, sondern mit dem denkbar höchsten Maß an Brutalität.Victor Gollancz. Zitiert nach de Zayas, Anmerkungen, 148.
Am 17. Oktober 1942 billigte die polnische Regierung ein Dekret über die Todesstrafe für Deportation und Umsiedlung. Auch beim Nürnberger Prozess wurden Massendeportationen klar als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit verurteilt (vgl. Artikel 6 der Satzung des Nürnberger Gerichtshofes und Punkt 3 und 4 der Nürnberger Anklage).
Zur gleichen Zeit, als der Nürnberger Prozess lief, wurden jedoch Millionen von Deutschen aus ihrer Heimat vertreiben, auf Beschluss oder zumindest mit Billigung derselben Mächte, deren Ankläger und Richter in Nürnberg über nationalsozialistische Kriegsverbrechen befanden, u. a. über Massendeportationen.de Zayas, Anmerkungen, 148f.
Jegliches Bemühen von westlicher Seite zur Minimierung und "völkerrechtlich korrekten Abwicklung" eines "Bevölkerungstransfers blieb Makulatur. Damit kapitulierten die Westalliierten letztlich vor den Vertreiberstaaten.
Quellen und weiterführende Hinweise
- Friebe, Georg: Deutschlands Osten und sein östlicher Nachbar. Beiträge zur Geschichte und Zeitgeschichte Ostdeutschlands, Polens und der deutsch-polnischen Beziehungen, Eigenverlag, 2004. [zitiert: Georg Friebe]